Initiativgruppe
vom Zölibat betroffener Frauen
Erfahrungen > N.M
H-R (geb. 1939)
Der Heilige und der Himmlische
In jungen Jahren war sein Vorbild Franz von
Assisi und so studierte mein Mann (geb. 1918)
nach dem Gymnasium an den Universitäten in der Schweiz, Frankreich und
in Oxford – England Theologie, alte Sprachen und Philosophie. Er wurde
Franziskaner-Mönch und unterrichtete in Europa und Amerika. Als 36-jähriger
katholischer Delegierter begegnete er mir, damals 15-jährigen Skilagerschülerin
in einem nationalen Ferienlager. Es entstand kurzer Briefkontakt wegen meiner
weiteren Schulbildung und dann vergingen 12 Jahre ohne jegliche Verbindung bis
zu einer unerwarteten zweiten Begegnung, da ich nach längerem Englandaufenthalt
eine Anstellung in englischer Sprache in seiner französischen Heimatstadt
angenommen hatte. Es vergingen dann fast drei weitere Jahre voller Fluchten und
Wirrungen, bis ich erfuhr, dass er das Kloster, in dem er bis zu seinem 49sten
Lebensjahr gelebt hat, verlassen hat, was den Bruch mit seiner
Familie zur Folge hatte.
Wir heirateten dann zivilrechtlich in einem
kleinen Ferienort, wo er in internationalen Schulen unterrichtete.
Er hatte einen Patensohn von seiner Schwester,
mit dem er sich gut verstand und der als musikalisches Wunderkind in großen
Konzerthäusern als Solist auf der Bühne das Publikum begeisterte.
Zwei Jahre nach unserer Heirat sagte er mir:
„Dass er seinen Beruf nicht mehr habe, sei nicht das Schlimmste, dass er aber
seinen geliebten Patensohn nicht mehr sehen kann, sei das Allerschlimmste.“
Seine Schwester hatte mich bei unserer Heirat überall als Hure verleumdet, ohne
dass wir uns je einmal gesehen oder gesprochen hatten und ihren Bruder als tot
erklärt. Auch durfte er seinen Vater, den er über Jahre liebevoll im Altersheim
betreut hatte, nie mehr sehen.
Er wäre gerne Prior geworden in dem Kloster in
dem er beinahe 50 Jahre gelebt hatte. Der damalige alte Prior erklärte ihm: „Du
wirst nie Prior sein, weil du mit mir nicht das Bett teilen willst“. Ein ganz
junger, neuer Mönch tat es dann und wurde auch Prior. Vom Kloster hat er nie
eine finanzielle Entschädigung für AHV oder Pension erhalten.
Wir sind dann in einen anderen Landesteil
gezogen, wo „F“, mein Mann, in einem neu gegründeten Gymnasium alte und neue
Sprachen unterrichtete und die Philosophie einführte. Wir lebten ein
bescheidenes Leben, brauchten unsere gegenseitige Nähe jeden Tag, um die
gemeinsame neue Herausforderung zu bestehen.
Seit sieben Jahren bin ich Witwe. Meine
Situation erinnert mich stark an die Erzählung „Narziss und Goldmund“ von
Herrmann Hesse.
Die Familie meines Mannes nannte ihn „der
Heilige“ und das Konzertpublikum nannte sein ungewöhnliches Patenkind „den
Himmlischen“.
Nun, mein Leben im Exil ist Schmerz und nie
geendete Trauer. Ich wünschte, es gäbe eine Kraft, die das Leid, das Menschen
anderen zufügen automatisch auf sie selbst zurückfallen würde.